Zusammen mit Stefan Maeger (Düsseldorf) gebe ich ein Themenheft von Ethik und Unterricht heraus, dass der Urbanität als einem philosophischen Phänomen gewidmet ist. Bislang trägt es den etwas sperrigen Titel „Die Stadt zwischen Utopie, Dystopie und Heterotopie“, aber uns fällt bestimmt noch etwas Prägnanteres ein. Auf der Homepage der Zeitschrift haben wir einen Call for Papers veröffentlicht, den ich hier mal in Gänze zitiere:
„Nun wollen die Fluren und die Bäume mich nichts lehren, wohl aber in der Stadt die Menschen.“ (Platon, Phaidros 230c)
Die Stadt ist der philosophische Ort par excellence. Seit den Anfängen der Philosophie ist sie der Nährboden der Reflexion schlechthin. Für Sokrates etwa war der Athenische Marktplatz ein unverzichtbarer Resonanzraum, der ihm Gespra?chspartner und Publikum bereitstellte; der US-amerikanische Philosoph James Conlon sieht auch in unseren modernen Großstädten, die nicht mehr um einen zentralen Platz organisiert sind, Inkubatoren des Denkens: „Being urban and being philosophical are significantly intertwined and the city is the surest place for philosophy to happen.“
Das philosophische Potential der (Groß-)Stadt wollen wir in diesem Themenheft ausloten. Einen groben Rahmen gibt uns dabei die Trias von Utopie, Dystopie und Heterotopie vor: Die Stadt war immer schon mit Hoffnungen und einem schwer erschütterlichen Fortschrittsglauben verbunden, Utopien sind in der Regel urbane Utopien. Nicht nur den gedachten Idealstädten, auch den konkreten Großstädten wohnt ein utopisches Potential inne; mit ihnen verbinden sich gesellschaftliche Zukunftsträume und individuelle Lebensentwürfe. – Zugleich sind Großstädte aber auch die Grundlage zahlloser dystopischer Entwürfe: Die Stadt ist auch der Ort, an dem gesellschaftliche Entwürfe grandios scheitern und sich mitunter in ihr Gegenteil verkehren: Videoüberwachte Kontrollgesellschaften und elektronischer Panoptismus brauchen eine urbane Infrastruktur. – Nicht zuletzt sind Städte auch der Hort des Anderen: Wo, wenn nicht in der Großstadt, können sich Subkulturen entwickeln und bewahren, die sich gesellschaftlicher Homogenisierung entziehen? Michel Foucault nennt Orte, an denen das Andere in dieser Konzentration manifestiert, Heterotopien. Die Stadt, so scheint es, ist ein intrikates Geflecht heterotopischer, utopischer und dystopischer Elemente, in dem menschliches Miteinander jeden Tag aufs Neue ausgehandelt wird.
Mögliche Themen (nicht abschließend!):
- Stadt als Gegenstand der Kulturkritik (Moloch Großstadt, Megalopolis)
- Dystopische Stadtvorstellungen (Big Brother, Kontrollgesellschaft (Deleuze))
- Stadt als Zukunftslabor: Stadtutopien und Idealstädte
- Zeiterleben in der Stadt (Stress, Beschleunigungsgesellschaft)
- Aneignung des städtischen Raums (Vom Flanieren zum Parcours (Michel de Certeau))
- Sokrates und Diogenes als Stadtphilosophen
- Städtische Foren des Philosophierens: Philosophisches Café, philosophischer Salon
- Stadt als Ort des Anderen: Urbane Heterotopien
Artikelangebote sind erbeten an Baum@ethik-und-unterricht.de
Wir freuen uns auf Vorschläge und Ideen!