Ebook-(Wieder-)Entdeckungen: Adam Halls Quiller

Zum Phänomen des Ebooks habe ich bislang ein ambivalentes Verhältnis. Ich habe schon Praxistests gemacht, ein paar Krimis komplett am iPhone und iPad gelesen und auch schon Forschungsliteratur als Ebook gekauft (dabei natürlich darauf geachtet, dass sie zitabel ist, d. h. die Seitenzahlen der Druckausgabe aufweist, was zunehmend häufiger der Fall ist). Gleichwohl sind doch die taktilen Eigenschaften eines „echten“ Buches kaum zu übertreffen. Insofern habe ich immer das Gefühl „weniger“ zu bekommen, wenn ich statt eines gedruckten Buches ein Ebook erwerbe. Das hängt natürlich damit zusammen, dass Ebooks im deutschsprachigen Raum – der Buchpreisbindung sei Dank – nur unwesentlich weniger kostet als die gedruckte Fassung. Eigentlich ein Skandal, weil die Einsparungen (Druckkosten, Lagerung, Vertriebslogistik) nicht an den Kunden weitergegeben werden.

20120528-113218.jpg

Auf dem anglophonen Buchmarkt sieht es da preislich und auch angebotsmäßig aber etwas besser aus; die Titel lassen sich recht umstandslos über den Kindle-Shop von Amazon oder über den iBooksStore von Apple beziehen. (Ich weiß, dass es noch Software-Alternativen gibt, aber die nutze ich derzeit nicht mehr, weil sie den Leser fürchterlich gängeln, z. B. Adobe Digital Editions.) – Ich habe hier keine Links zu den Anbietern gesetzt, die findet man umstandslos, und ich will den Beitrag nicht als Werbung missverstanden wissen.

An einer Stelle schließe ich Ebooks zunehmend ins Herz. Der digitale Buchmarkt mit seinen verringerten Produktionskosten macht Bücher wieder zugänglich, deren Nachdruck auf herkömmlichem Wege nicht rentabel wäre. So ist etwa eine Buchreihe wieder erhältlich, über die ich schon länger schreiben/bloggen wollte: die Quiller-Romane von Adam Hall (1920–1995, Eigentlich: Trevor Dudley Smith, auch unter dem Namen Elleston Trevor bekannt).

20120528-105206.jpg Zwischen 1966 und 1996 (der letzte Band erschien posthum) hat Hall neunzehn Spionage-Romane um den britischen Agenten („shadow executive“) Quiller veröffentlicht; Hintergrundinformationen und ein Verzeichnis der Romane bietet die Fanseite quiller.net. Ebenfalls nützlich: die Quiller-Mailingliste (Archiv). Die Romane sind schon lange vergriffen; zwar gab es immer mal wieder Reprints einzelner Ausgaben, aber ‚Serienreife‘ hat keiner dieser Versuche erreicht. Mein Interesse hat die Quiller-Reihe schon zu Schulzeiten erregt: Der Bastei-Lübbe-Verlag hatte in den 1990er Jahren einige der Romane übersetzt, aber die Serie alsbald wieder eingestellt. Da die meisten Titel also nicht in Übersetzung vorlagen, entschloss ich mich, die vergriffenen englischen (und ggf. amerikanischen) Originalausgaben aufzutreiben. In der Anfangszeit des Internets kein leichtes Unterfangen. Umso größer die Freude, als ich die neunzehn Bände – wenn auch zum Teil in sehr zerlesener Form – endlich beisammen hatte. (Damals war es noch ein spannendes Ereignis, dass eins der Bücher den weiten Weg aus Australien zu mir gemacht hatte.)

Die mühsam zusammengesuchten Bände erscheinen derzeit als sehr günstige Ebooks (für Kindle und iBooks), so dass sie sehr einfach zugänglich geworden sind; ich möchte hier eine ausdrückliche Empfehlung aussprechen. Die Quiller-Romane kranken, anders als viele Vertreter des Genres, nicht daran, dass sich allzu sehr von der Atmosphäre des Kalten Kriegs abhängig machen. Viele Spionage-Romane wirken heute allzu verstaubt und stellenweise albern, aber Adam Halls Geschichten haben nahezu nichts von ihrem Charme eingebüßt.

Der besondere Reiz der Romane liegt in Halls Stil, den der Literaturwissenschaftler Alf Mayer, bei Bastei-Lübbe seinerzeit für die Quiller-Ausgaben verantwortlich, als „erzählerische close-focus-Technik“ (in: „Reise in die Angst. Ein Blick in die Abgründe von Quillers Welt“, Nachwort zu Adam Hall: Quiller steigt aus, Bergisch Gladbach 1989, S. 363) bezeichnet. Man folgt dem Ich-Erzähler dicht auf den Spuren, die Beschreibungen sind stakkatohaft, gewähren keinen Überblick, man atmet und schwitzt mit dem Protagonisten, der immer wieder in gefährliche Situationen gerät.

Als besonderer Ebook-Clou wurde gerade eine Biographie des Autors (Bury Him Among Kings. Intimate Glimpses of the Life and Work of Elleston Trevor) vorgelegt, die für kleines Geld (weniger als 1 €, im iBookStore derzeit sogar gratis) zu haben ist. Verfasst von seiner zweiten Frau, Chaille Trevor, beleuchtet der Band in anekdotischer Form die Entstehungsbedingungen der Quiller-Romane. Es liegen also alle Voraussetzungen vor, mit dem Kopf voran in Adam Halls höchst lesenswerte Romane einzutauchen.

Dieser Beitrag wurde unter Kulturwissenschaft, Töne - Bilder - Worte abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.